Siebenbürgen-Report (1)

Pfarrkonvent des Dekanats Schweinfurt

Laut Werbeplakat ist Hermannstadt eine dynamische Metropole für junge Leute

Vom 03.-07. Juli 2017 fand der Pfarrkonvent des evang.-luth. Dekanats Schweinfurt in Siebenbürgen statt. Was die 26 ReiseteilnehmerInnen samt Dekan Oliver Bruckmann und Dekan Günther Klöss-Schuster (DB Castell) dort alles erlebt haben und wem sie begegnet sind, davon handelt der folgende Bericht - hier: TEIL 1:

„Hermannstadt ist entzückend: bestes, altes, gutes Deutschland. Winklige Gassen, eine wundervolle Bevölkerung, sehr gutes Essen … Wir sprachen mit den Deutschen, die dort seit langen Jahrhunder­ten sitzen. Sie sprechen einen Dialekt, der ein wenig an das Alemannische anklingt, und manche Worte waren zu verstehen.“ Dies schrieb Kurt Tucholsky 1918 über seinen Kurzaufenthalt im heuti­gen Sibiu.

Fast genau ein Jahrhundert später sind die Gassen von Sibiu, ehemals Hermannstadt, immer noch winklig, das Essen sehr gut, und man spricht immer noch (etwas) Deutsch – einst beherrschten in Siebenbürgen rund 800.000 Menschen die deut­sche Sprache. Amtssprache ist längst Rumänisch und in einigen Restaurants die Kommunikation nur auf Englisch möglich. Denn „Ardeal“ bzw. „Erdély“, wie Siebenbürgen heute heißt, liegt seit 1918 im Herzen Rumäniens.

1. TAG: Montag, 3. Juli 2017: Hinflug und Hinführung ins Thema

Nach nur eineinhalb Stunden Direktflug von Nürnberg Landung auf dem kleinen internationalen Flughafen von Sibiu. Zwischen ihm und der Stadt: modernes Gewerbegebiet mit vertrauten Namen wie „Lidl“, „Penny“, „Kaufland“ - man fühlt sich sofort wie zu Hause. Stadtbuslinie Nr. 1 endet beim „Hornbach“-Baumarkt. Mit­ten in der Fußgängerzone ein ständig rege frequentierter „Billa“-Supermarkt, bis 23.00 Uhr geöffnet. Nein, uns mangelt nichts.

Anfang Juli 2017 besucht der Pfarrkonvent des Dekanats Schweinfurt, insgesamt 26 Personen, un­ter Leitung von Dekan Oliver Bruckmann und des in Siebenbürgen geborenen Dekans von Castell, Günther Klöss-Schuster die 147.000 Einwohner zählende Stadt – auf den Spuren der evangelischen Sachsen. Klöss-Schuster ist seit 2008 Dekan von Castell, war nach dem Studium Vikar in Kronstadt und von 1988 bis 1994 Pfarrer von Bistritz (rumänisch: Bistriţa), ehe er nach Deutschland kam und 1995 als Pfarrer in Oberaltertheim neu begann.

Wir befinden uns in Transsilvanien, dt.: „dem Land jenseits des Waldes“ - ein Landstrich, den die Kolonisten überhaupt erst urbar machten. Der Name „Siebenbürgen“ rührt vom einstigen Sieben-Siedlungsverbund mit Hermannstadt als Mittelpunkt her. Um gleich ein Missverständnis auszuräumen: Aus Sachsen kamen sie nicht. Sondern „Saxones“ war die Bezeichnung der ungarischen Kanzleisprache für westliche, speziell deutsche Siedler ab dem 12. Jh.: Auswan­derer – Bauern, Handwerker, Kaufleute – vornehmlich aus dem Rhein-Mosel-Gebiet, Luxemburg, Flandern, die sich nach Osten auf die Suche nach einem besseren Leben und neuen Siedlungsgebieten begaben: nach Böhmen, Galizien, Ungarn. Diesen, „unseren getreuen deutschen Gästen (Gastsiedlern)“, wurden besondere Privilegien eingeräumt, unter anderem Selbstverwaltung, eigene Gerichtsbarkeit und freie Pfarrer- wie Richterwahl, - 1224 garantiert im sog. Goldenen (Andreanischen) Frei­brief seitens des Ungarnkönigs Andreas II. Dekan Klöss-Schuster gibt dazu eine Begebenheit zum Besten: wie einmal doch ein Bischof einer Gemeinde ihren neuen Pfarrer vorzusetzen versuchte und letzterer daraufhin von ihr erschlagen wurde.

Politisches Selbstverwaltungsorgan war die sog. „Sächsische Nationsuniversität“, nur dabei bitte nicht an eine Hochschule denken, sondern universitas meinte die Gesamtheit der Nation bzw. Volksgruppe, konkret also die Gesamtheit der Siebenbürger Sachsen.

Nach der Ungarn-Zeit ab dem 13. Jh. war Siebenbürgen im 16./17. Jh zwar selbständig, aber den Türken (Osmanen) tributpflichtig. Ab 1687 kam das Land zur Habsburgischen Kronkolonie, sprich Österreich - Hermannstadt galt als zweitgrößte Garnisonsstadt der Habsburger Monarchie! -, 1867 erneut zu Ungarn, und nach dem Ersten Weltkrieg – seit 1918 – gehört es zu Rumänien. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten dort an die 800.000 Deutsche – neben den Siebenbürger Sachsen u.a. die Banater Schwaben, Bessarabien- und Bukowina-Deutsche. 1937 wurde die in eine Stiftung umgewandelte Nationsuniversität definitiv aufgehoben. -

Nieselregen bei angenehmen Temperaturen. Erste Sightseeing-Eindrücke: Zweifelsohne besitzt die Stadt Atmosphäre. Viel wurde inzwischen renoviert und bunt herausgeputzt, aber genauso viel, ja noch mehr ist weiterhin dem Verfall preisge­geben. Aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurde Sibiu/Hermannstadt, als sie 2007 zusammen mit Lu­xemburg zur Kulturhauptstadt Europas erhoben wurde zwecks Förderung von Kultur und Wiederaufbau. Übrigens: Auch Essen im Ruhrgebiet darf sich seit 2010 mit diesem Prädikat schmücken.

Inzwischen ist Sibiu wie Prag von Tou­risten aus aller Welt – nicht nur von sog. Heimattouristen – entdeckt, man spürt überall Aufbruchss­timmung. Die überschaubare Fußgängerzone wirkt fast schon zu geschäftig-kommerziell, verwechsel­bar mit anderen Flaniermeilen, etwa mit Torremolinos – nur auf herbe Sparflamme reduziert. Biegt man in eine der Seitenstraßen ab, offenbart sich maroder Charme vergangener, kommunistisch-sozialistischer Zeiten – farblose, ver­fallende Häuserzeilen wie in Leipzig oder Dresden vor gut zwei Jahrzehnten.

Im Hotel Imperatul Romanilor – „Zum römischen Kaiser“ (damit ist Maria Theresias Sohn Kaiser Joseph II. gemeint), in dem die Reisegruppe unterkommt, scheint die Zeit stillzustehen. Zwar mag man­chen das Plüsch, der opulente Zierrat und der wie eine Filmkulisse wirkende Glamour vergangener Jahrhunderte beeindrucken, aber dies entspricht – milde ausgedrückt – kaum mehr heutigen touristischen Ansprüchen. Der Bau, eher an überdimensio­nierte Kursanatorien aus der Gründerzeit wie in Bad Kissingen erinnernd, stammt von 1895. Sein „elegantes Interieur“, wie eine Reiseplattform schreibt, „überall Gold, imperialistisch, herrschaftlich“, ist stark übertrieben. Allein der Ausblick hinten hinaus ist deprimierend. Dafür entschädigt die Lage im Her­zen der Stadt und das reichhaltige Frühstücksbuffet. Auch tröstlich: Das Hotel firmiert heute als erschwingliches Drei-Sterne-Haus.

Am Abend ein imposantes Bild: 26 Leute an einer langen Tafel im gepflegten Restaurant „Hernandes“ - sozu­sagen zwei Mal Jesus mit den Zwölfen, - die beiden Dekane obenan sitzend. Der frühere Barocksaal diente als Übungs- und Konzertsaal der Philharmonie. Deftige Mahlzeit à la carte mit viel Fleisch (T-Bone-Steak, Angus, Lammkotelett ...). Wer mit westlichem Gehalt ausge­stattet ist, braucht in Siebenbürgen keinen Hunger zu leiden, ja kann gar nicht so viel essen, um sein in neue rumänische Lei (RON) umgewechseltes Geld auszugeben. Wer 20 Euro berappen muss, ist wirklich mehr als satt. Dem Dekanat sei für die Einladung gedankt.

Fortsetzung folgt: Begegnung mit dem Sachsenbischof  (https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/siebenbuergen-report-2)