Siebenbürgen-Report (3)

Pfarrkonvent des Dekanats Schweinfurt (Forts.)

On-line? Total vernetztes Siebenbürgen; gefunden in Mediasch

3. TAG: Mittwoch, 5. Juli 2017: Alles Kirchenburgen oder was? Landpartie per Bus

Es waren bestimmt 250 Buskilometer durch das Siebenbürgische Hochlandbecken, die die Pfarrerinnen- und Pfarrergruppe zurücklegte. Eine von fruchtba­rem Grün bestimmte Hügellandschaft mit einer Höhe zwischen 300 und 800 Metern; in der Ferne zu erkennen das Randgebirge der Südkarpaten mit Gipfeln bis zu 2544 Metern. Auffällig: viel Futtermaisanbau. Die jungen Leute sind nicht mehr da, deshalb liegt die Landwirtschaft vielerorts entweder brach oder ist als kleinteilig zu bezeichnen.

Mehrere Kirchen, vier bis fünf, in praktisch jedem noch so kleinen Dorf, im Unterschied zu vielen bescheidenen Häusern fein rausgeputzt: rumänisch-orthodoxe, rumänisch griechisch-katholische (unierte), katholische, evangelisch-reformiert-calvinistische (ungarische), und eben evangelische Augsburger Bekenntnisses. Letztgenannte als die ältesten Bauten sind meist auf Anhöhen zu finden und typische Kirchenburgen: Kirche, Pfarrhaus, Gemeindesaal und Schule von Festungsmauern mit Wehrtürmen, Wehrgängen, Schießscharten und Ringmauern eingeschlossen, einst, im 14./15. Jh. gebaut zum Schutz des Landes vor den „Wandervölkern“, sprich zwecks Verteidigung ge­gen Mongolen und Türken (Osmanen), aber sie mussten auch österreichischen und ungarischen Ge­genangriffen standhalten. Mehr als 300 solcher imposanten Anlagen gab es. Heute sind es immerhin noch 140, etliche von ihnen gegen Eintritt zu besichtigen. Oft kann man sogar den Glockenturm und Wehrtürme besteigen, durch Schießscharten und Pechnasen blicken. „Der Name des HERRN ist ein festes Schloss; der Gerechte läuft dahin und wird beschirmt“ (Sprüche 16,10).

Erster von vier Stopps: Mediasch (rum.: MediaÅŸ)

Mediasch ist eine 44.000-Einwohnerstadt mit gesichtslosen Fabriken und Wohnblocks in den Außenbezirken, Zentrum der Erdgas-Förderung („Romgaz“). Die heutige Altstadt war einst von einer 2,4 Kilometer langen Mauer umgeben. Deren Zentrum bil­det das Kirchenkastell, die einzige noch existente und somit die älteste Stadtkirchenburg Siebenbürgens, wo sich auch die deutsche Schule, das alte Rathaus, Predigerhaus das Pfarrhaus befinden, das Stadtgefängnis nicht zu vergessen. Alles überragend der 68,5 Meter hohe Trompeterturm, von dem einst der Turmwächter blies, wenn Gefahr drohte. Er zählt mit 2,29 Meter Neigung zu den Top ten der schiefen Gebäude der Welt (die Schiefe des nur 55 Meter hohen Turms von Pisa beträgt 3,9 Meter). Sein glasiertes Ziegeldach soll an den St. Stephansdom in Wien erinnern. Dort, in der evangelischen Margarethen-Stadt­pfarrkirche, in ihrer jetzigen Gestalt mit spätgotischem Chor und dreischiffigem Kirchenschiff aus dem 15. Jh. stammend, werden die Geistlichen von Kollegin Hildegard Servatius Depner erwartet. Schon 15 Jahre versieht die junge Pfarrerin, ebenfalls mit einem Pfarrer verheiratet, ihren Dienst. Sie führt durch ihr berühmtes Gotteshaus, da wo 1572 die Synode der sächsischen Geistli­chen das Augsburger Bekenntnis angenommen hatte. Fresken aus den Vorgängerbauten des 14. Jh. sind zu erkennen, freigelegt bei Restaurierungsarbeiten Ende des letzten Jh.s, auch ein uraltes bronzenes Taufbecken von 1370. Die Wände des Chores sind auffällig behangen mit vielen anatolischen Teppichen aus dem 16. bis 18. Jh.: Betuchte Händler ha­ben sie nach glücklicher Rückkehr von ihren weiten Reisen aus Dankbarkeit gestiftet – sozusagen Votivgaben.

Mit 800 Mitgliedern ist Mediasch die drittgrößte evangelische Gemeinde in ganz Rumänien. Da es in der riesigen Kirche im Winter zu kalt ist, feiert man den Gottesdienst im Pfarrhaus am Wohn­zimmertisch. Raum ist bekanntlich in der kleinsten Hütte. Frau Depner und ihr Mann gehören zu den insgesamt fünf Pfarrern, die innerhalb der Kirchenburg leben, ein Teampfarramt bilden und im Dekanat Medias, das keinen Dekan mehr hat, sage und schreibe 46 Dörfer betreuen.

Not, Engpässe, Defizite allerorten. „Herr, du stellst meine Füße auf weiten Raum“ (Psalm 31,9), fällt einem ange­sichts dieser Diaspora-Situation spontan ein. Kasualien werden zweisprachig gehalten: auf Deutsch und Rumänisch. Auch in Mediasch geht seit der Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien 1918 kontinuierlich der Einfluss der deutschen Bevölkerung zurück.

- Frage nach dem Religionsunterricht: Evangelischer Schulunterricht ist seit 1995 an staatlichen Schulen möglich, davor nur im Pfarramt. Aber heutzutage sind fast alle SchülerInnen nicht mehr evangelisch: Etwa 22.000 hauptsächlich rumänische Kinder besuchen deutsche Kindergärten und Schulen. Man bedenke: Orthodox-gläubige Schüler nehmen am evangelischen Religionsunterricht teil, aber nicht etwa, um zu konvertieren. Sondern mit guten Deutschkenntnissen und Sprachdiplom haben sie bessere Chancen in Deutschland oder auf dem rumänischen Ar­beitsmarkt. Bei dort ansässigen deutschsprachigen Betrieben sind sie sehr begehrt. Kurzum: Religionsunterricht = Deutschunterricht.

- Frage nach den ökumenischen Beziehungen: Ökumene bleibt unterbelichtet. Eine Zusammenarbeit ist kaum möglich. Natürlich kennt man einander, aber außer einem gemeinsamen Weihnachtskonzert und der ökumenischen Gebetswoche findet in Mediasch keine Kooperation statt. Die Orthodoxen zeigen sich sehr zurückhaltend und nationalistisch. Immerhin existiert ein „Rat der Glaubensgemeinschaften“ mit einem jährlichen Treffen in Bukarest, wo aber hauptsächlich gesellschaftliche Themen wie Gesundheit, Werte, Bildung, Religionsunterricht behandelt werden. Übrigens: Es gibt so gut wie keine Atheisten in Rumänien.

- Frage nach der politischen Situation: Was die rumänische Politik anbelangt, gibt sich nicht nur die Pfarrerin, sondern geben sich überhaupt alle Gesprächspartner während der Reise eher „zugeknöpft“. Schlagworte wie „Vetternwirtschaft“, „Korruption“ oder „Justizabhängigkeit“ sind weiterhin präsent. Aber voller Stolz betonen vor allem die Hermann­städter, dass die 2000 deutschsprachigen Vertreter im Stadtrat von Sibiu die Mehrheit haben und dass der aus Sibiu gebürtige studierte Gymnasiallehrer und dort drei Amtszeiten als Bürgermeister amtierende siebenbürgisch-sächsische Klaus Johannis seit 2014 Staatsoberhaupt Rumäniens ist. Seine Eltern hingegen wanderten 1989 nach Deutschland aus und leben in Würzburg.

- Frage nach der Zukunft ihrer Kirche: Die Pfarrerin gibt sich hoffnungsvoll: „Wir sind stabil ge­blieben und zufrieden mit dem, was wir haben.“ Immerhin hat sie im ersten Halbjahr 2017 schon fünf Kinder getauft. Frau Depner wirkt sogar glücklich: „Wir leben in einer Zeit der Gnade“. Sie betont nicht die vielen Schatten, die es unzweifelhaft gibt, sondern bezeichnet sich als eine Kerze, die viel leuchten kann.

Pfarrerin Depner demonstriert ein geradezu trotziges Festhalten an der Heimat - aus Prinzip und erst recht nach der Wende. Deshalb die Assoziation „Dennoch bleibe ich stets an dir …“ (Psalm 73,23). Man darf gespannt sein, wie es mit ihr und ihrer Kirche weitergeht.

Zweiter Stopp: die Kirchenburg von Birthälm (rum.: Biertan)

Annähernd 300 Jahre, von 1572 bis 1867, war Birthälm Bischofssitz und -residenz. Der Name des Buch- und Souve­nirladens „Sachsenbischof“ am Fuß der Kirchenburg, die zum UNESCO-“Kulturerbe der Mensch­heit“ zählt, erinnert noch daran. Heute ist der Ort ein eher unbedeutender Marktflecken. Nur 30 bis 40 evangelische Sachsen, vor allem in Mischehe mit Rumänen verheiratet, sollen hier leben. Um 1940 machten sie noch 55 Prozent der Einwohnerschaft aus. 1800 Gemeindeglieder gab es in den besten Tagen.

Der Weg führt über einen überdachten, steilen Treppengang hinauf, durch einen dreifachen konzentrischen Mauer­ring mit zwei Basteien und sieben Wehrtürmen – einer beherbergt heutzutage die Bischofsgräber – und zwei Bastionen hindurch, direkt zur am höchsten Punkt gelegenen spätgotischen, dreischiffigen Hallenkirche mit imposantem Rippen- bzw. Netzgewölbe. 1468 soll sie erstmals urkundlich erwähnt worden sein, die steinerne Kanzel datiert von 1523 und zeigt Reliefs zum Leben Jesu. Neben Zünfte-Fahnen fallen wieder „Gebetsteppiche“ an den Wänden auf. Voller Stolz weist der Kirchenführer auf den Flügelaltar von 1483-1515 mit 28 Gemälden hin – es ist der größte Siebenbürgens. Dann verriegelt er das Por­tal – es ist Mittagspause.

Draußen vor der Tür liest Dekan Bruckmann passend Psalm 46 vor, dessen Text Martin Luther für sein Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ inspirierte. Die reizvolle Lage des Ortes erkennt man erst so richtig von oben: Er liegt eingebettet im siebenbürgischen Weinland, nur dass die Wein­lagen direkt gegenüber nicht mehr bewirtschaftet werden; aus ihnen sind terrassierte Wiesen gewor­den.

Wieder unter angekommen, wird im Schatten einer Bühne auf dem Marktplatz gepicknickt. Dekan Klöss-Schuster hat dazu in aller Herrgottsfrühe verschiedene Wurst- und Käsesorten, Tomaten, Lauchzwiebeln, Gurken, Honigmelonen auf dem Hermannstädter Markt eingekauft, auch etliche Rotweinflaschen nicht vergessen. Die Stimmung hebt sich schlagartig, hingegen ermüden die Glie­der. Hernach darf im Bus sogar einige Minuten geruht werden, ehe die nächste Attraktion – natür­lich wieder eine Kirchenburg – erreicht wird.

Fortsetzung folgt: Dekan Klöss-Schusters Heimkehr (https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/siebenbuergen-report-4)

(Den 2. Teil verpasst? https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/siebenbuergen-report-2)