Singt dem Herrn ein neues Lied

Wetterkapriolen bei Dekanats-Chorkonzert

Seltener Anblick: LKW-Orgel-Pfeifen vor dem Alten Gymnasium

Schweinfurt, So., 14.05.2017. Immer noch in kräftiges Sonnenlicht getaucht: der Martin-Luther-Platz am Sonntagnachmittag. Kein Platz mehr frei auf den Bierbänken vor der St. Johanniskirche. Glockenläuten. Andächtige Stille. Dann: „Ein feste Burg ist unser Gott“ in der Choralpartita-Fassung für Chor, Bläser, Orgel und Pauken von Matthias Drude (2011). Eine Orgel draußen auf dem Platz? Ja, man hatte keine Kosten und Mühe gescheut, die einzige Lastwagenorgel Deutschlands, vornehmer ausgedrückt: die weltweit einzigartige Open-Air-Konzert-Orgel, von der Orgelbaufirma Hoffmann & Schindler aus Ostheim an der Rhön gefertigt, zu mieten.

„Singt dem Herrn ein neues Lied!“ So lautete das Motto dieses besonderen Musik-Events: ein dekanatsweites Chorkonzert! Aus etlichen Dekanatsgemeinden – Sennfeld, Obereisenheim, Poppenlauer, Niederwerrn – hatten sich die Posaunenchöre hierher aufgemacht, dazu die um Sängerinnen und Sänger verstärkte St. Johannis-Kantorei. Ein laut schallendes Gotteslob wurde geboten unter dem Dirigat der beiden Dekanatskirchenmusikdirektoren Andrea Balzer (Schweinfurt) und Jörg Wöltche (Bad Kissingen) sowie der beiden Bezirksposaunenchorleiter Christian Heinemann (Sennfeld) und Peter Dietrich (Zeilitzheim).

In seiner Begrüßung erinnerte Dekan Oliver Bruckmann daran, dass gerade an diesem Kirchenjahressonntag Kantate, „Singt“, Gotteslob angesagt und berechtigt sei. Er hatte auch einen passenden Text im Alten Testament gefunden: von der Einweihung des Tempels Salomos, als Priester und Kultpersonal pompös mit Zimbeln, Harfen, Zithern und Trompeten Gott lobten (2. Chronikbuch 5). Dazu zitierte der Dekan Johann Sebastian Bach, der in seiner Bibel zu diesem Schriftwort an den Rand geschrieben hatte: „Bei einer andächtigen Musik ist allezeit Gott mit seiner Gnaden Gegenwart.“ Und natürlich dürfe Martin Luther im Reformationsjubiläumsjahr nicht fehlen. Seine Lieder, etwa „Vom Himmel hoch“, gehörten zum festen Familienschatz – so Bruckmann.

Die anschließenden Chorwerke „Soli Deo Gloria“ von Paul Kickstat (1893-1959) und „Preis und Anbetung“ von Johann Christian Heinrich Rinck (1770-1846) adressierten noch einmal Gott in klarsten Tönen, aber dann kam die Zäsur, sprich der Wetterumschwung, der berechtigte Zweifel aufkommen ließ, ob Gott dieses Lob auch vernommen hatte. Andrea Balzer eilte zur LKW-Orgel und begann die Fantasie „Reformation“ von Wilhelm Rudnick (1850-1927) zu spielen, doch es nützte nichts. Ein warmer Regenschauer setzte ein und bestätigte leider das Kleingedruckte in der Online-Werbung für die Open-Air-Orgel: „Grenzen des Einsatzes werden nur durch Zufahrtsmöglichkeiten und Wetterkapriolen aufgezeigt.“

Über eine Viertelstunde verging, bis alle in der Kirche neue Sitzplätze eingenommen hatten; die Chöre mussten leider stehen. Unruhe blieb: Hier eine zugeschlagene Tür, dort eine umfallende Flasche. Man merkte, dass es kein Publikum für geistliche Konzerte war. Viele Zaungäste, auch Familien mit Kind und Kegel – schließlich war nicht nur Kantate, sondern auch Muttertag angesagt –, waren darunter. Die nicht zu beneidenden Chorleiter mussten sich außerdem auf die Hallenakustik umstellen und immer wieder von der Orgel-Empore hinunter in den Chorraum und retour wechseln. Auch setzte die Kirchenmusikdirektorin, statt noch einmal mit dem impressiven Maestoso-Satz besagter „Reformation“-Fantasie zu beginnen, mit dem ruhigen Andante-Satz fort.

Geradezu programmatisch klang daher „Ein neuer Anfang“ (Jens Uhlenhoff, *1987) seitens der Posaunenchöre. Absoluten Hörgenuss stellten auch die Ausschnitte aus Antonio Vivaldis beliebtem „Concerto in D-Dur“ im Zusammenspiel zwischen Orgel und Bachtrompete, von Christian Heinemann geblasen, dar. Noch bekannter der Marsch der Zinnsoldaten aus Tschaikowskys „Nussknacker-Suite“, den man wohl kaum in einer Orgelfassung erwartet. Chorist und Instrumentalist Dr. Thomas Reinecke bot, unter Begleitung der kleinen Orgel, ein beeindruckendes, leider nicht im Programm ausgewiesenes Fagott-Stück dar. Alles in allem: ein recht abwechslungsreiches Repertoire.

Versöhnlich der Ausklang mit Mendelssohn Bartholdys Arrangement des Kirchenliedes „Verleih uns Frieden gnädiglich“: zuerst ganz verhalten nur die Männerstimmen – gregorianisch anmutend, wie aus einer anderen Sphäre herüberklingend, dann der gemischte Chor, das Einsetzen der Orgel (KMD Wöltche) und schließlich ein fulminantes Finale zusammen mit den Posaunenchören. Da kam es fast einer Zugabe gleich, dass ganz am Ende auch die „Gemeinde“, von allen Chören und Instrumentalisten assistiert, mitsingen durfte: „Bleib bei mir, Herr“, nach dem englischen Choral “Abide with me”, vertont von William Henry Monk. Berechtigter Applaus. Draußen nieselte es immer noch leicht.

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