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Bericht des Dekans

 

Brasilienpartnerschaft

 

Bericht von Dekan Oliver Bruckmann

über seine Brasilienreise

vom 12. bis zum 24. Oktober 2008

auf der Dekanatssynode Schweinfurt

(14.2.2009)

1. Wohin geht die IECLB?

• Die IECLB (Evangelische Kirche lutherischen Bekenntnisses in Brasilien) ist eine traditionell deutsch geprägte Kirche
• Sie ist eine weiße Kirche. Auf dem Konzil, das unserer Landessynode entspricht, habe ich keinen einzigen Schwarzen gesehen.
• Die IECLB ist stark im Süden und dort auf dem Land.
• Traditionell ist sie eine Betreuungskirche. Sie orientiert sich an ihren Mitgliedern und betreut diese gut.

Situation:
• Landflucht und Urbanisierung
• 83% der Bevölkerung lebt in den Städten.
• Urbanisierung heißt auch Verelendung (Bevölkerungswachstum bei gleichzeitig steigender Arbeitslosigkeit) in den Favelas an den Stadträndern.
• Armut und Verelendung erzeugen große Gewalt.
• Pentekostalisierung (starkes, anhaltendes Wachstum der Pfingstkirchen).

Die ärmeren Synoden im Norden leben von der Unterstützung der südlichen Synoden. Was ist, wenn der Süden schwächer wird (Landflucht, Traditionsabbruch, Pentekostalisierung)?

Missionarische Kirche ist angesagt, die sich öffnet und neue Mitglieder gewinnt.
„Die IECLB steht vor einer historischen Herausforderung: von einer vorwiegend in kleinen und mittleren Städten angesiedelten Kirche mit noch ländlicher Prägung, besonders im Süden und Südosten des Landes muss sie sich zu einer missionarischen Kirche auch in modernen und extrem dynamischen städtischen Ballungsgebieten entwickeln.“ (Missionsplan der IECLB, S. 27)
• Das heißt zum einen: dem Traditionsabbruch zwischen den Generationen entgegenzuarbeiten.
• Und zum anderen: neue Mitglieder gewinnen. In weiten Teilen, vor allem in den Städten und im Norden, bedeutet dies: missao zero (Mission vom Nullpunkt aus).

2. Der Missionsplan

Der Missionsplan stellt fest:  Das „Handeln der IECLB (beschränkt sich) seit gut mehr als zehn Jahren nicht mehr auf die Begleitung allein ihrer Mitglieder. Es ist nötig, dass auf allen Ebenen unsere Vorgehensweisen darauf zielen, Menschen über unsere geographischen, kulturellen und ethnischen Grenzen hinaus zu erreichen. Dabei darf jedoch nicht unsere Identität als IECLB preisgegeben werden, mit anderen Worten: um auf die Nöte der Menschen einzugehen, können wir aus den unterschiedlichsten religiösen Erfahrungen lernen, aber sie müssen kritisch in unser biblisches und konfessionelles Gedankengut integriert werden. Das ist gemeint, wenn in diesem Buch die Notwendigkeit betont wird, unsere Tradition zu übersetzen.“ (S. 8)

3. Kooperation und Vernetzung

Missionarische Kirche muss sich vernetzen. Der Süden trägt den Norden mit. Auf dem Konzil sind die Synoden Beziehungen eingegangen, sichtbar gemacht durch den Tausch von Gegenständen und Symbolen. So soll ein Netz von besonderen Beziehungen über das ganze Land hinweg entstehen.
Aber wird das fruchtbar werden? Immerhin lösen die vier Gemeinden in Rio ihre Kooperation als Gesamtgemeinde gerade auf!
Wie werden sich die Partnerschaftsnetze in der IECLB entwickeln? Interessant: Das Thema Kooperation und Vernetzung ist m.E. auch für die ELKB (Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern) zentral.

4. Unsere Partnerschaft

Unsere Partnerschaft mit Rio ist deshalb spannend, weil es eine städtische Partnerschaft ist. Stadt heißt: erschwerte Weitergabe der Tradition, hohe Armut, interkulturelles Milieu.
Stadt heißt: kleine Gemeinden, finanziell schwache Gemeinden.
• Wie können und werden die kleinen Gemeinden in Rio den Missionsplan umsetzen? So habe ich Almiro Wilbert aus Rio beim Konzil gefragt.
Almiro Wilbert: „In Rio haben alle Gemeinden zusammen nur 600 Familien (bei 12 Mio. Einwohnern). Ob sie da etwas von uns lernen können…?“
• Missionarische Erfahrungen aus unserer Kirche werden angefragt.
Die Herausforderungen sind denen in unserer Kirche und unserem Dekanat doch weitgehend sehr ähnlich. Wir verfügen freilich noch über wesentlich größere finanzielle Mittel. Aber bleibt das so in einem Gebiet, in dem die demografische Entwicklung deutliche Abnahme signalisiert?
Ich wünsche mir, dass wir über die geistliche Beziehung und auch über die Wahrnehmung kultureller und politischer Unterschiede hinaus wesentlich deutlicher die gemeinsame Frage nach den Strukturen stellen - ich könnte auch sagen: die Frage nach dem Missionsplan.

5. Kirche und Diakonie

Das Verhältnis von Gemeinde und Diakonie: Die IECLB kennt beides - Gemeindeleben und Diakonie. Beides kann sich befruchten und stützen. Beides kann nebeneinander her laufen oder konkurrieren. Die intensivste, auch theoretische Durchdringung habe ich in der charismatisch geprägten Hochschule FATEV in Curitiba und der in pietistischer Tradition stehenden Hochschule FLT in Sao Bento erlebt.
Wie laufen Gemeinde und Diakonie bei uns ineinander oder nebeneinander?
Wie laufen sie in Rio ineinander oder nebeneinander. Dort gibt es mit der Creche Bom Samaritano eine diakonische Einrichtung, die wir besonders unterstützen. Wird sich die kleine Kirche in Rio mit ihrem diakonischen Schwerpunkt (Creche) am Ende stärker öffnen und entwickeln können und dadurch mehr Mitglieder gewinnen?
Diakonische Kirche ist auch missionarische Kirche und weit weniger Gemeindekirche für sich. Die große Stadtrandgemeinde bei Curitiba (Sao Jose dos Pinaihs) kommt in die Favela einfach nicht rein! Die Ipanema-Gemeinde in Rio mit ihrer Creche schon.
Im Missionsplan heißt es: „Kirche für die Anderen zu sein, heißt mit dem leidenschaftlichen Blick Gottes die Personen und Familien anzusehen, die z.B. unter chemischer Abhängigkeit leiden. Heißt die Menschen wahrzunehmen, die unter Einsamkeit und Depression leiden, und – Gemeinschaft und Hoffnung anbietend – eine heilende und rehabilitierende Tätigkeit auszuführen. Heißt für die Konfliktsituationen aufmerksam zu sein, bei der Vermittlung zu helfen und die Versöhnung zwischen den Menschen anzustreben. Heißt eine annehmende Haltung gegenüber den Menschen zu praktizieren, die mit HIV/Aids leben. Heißt Räume zu ermöglichen für Vergebung und Heilung, für Gerechtigkeit und Frieden, für das Handeln aus Liebe und das Kämpfen gegen jede Form von Unterdrückung, sei es von Kindern, Jugendlichen oder Alten, in den Familien und in jeglicher Situation von Leiden oder Entbehrung.“ „Das rehabilitierende und heilende Handeln der Gemeinde kann zu einem wirksamen Zeugnis der Liebe Gottes werden, wenn die Gemeinde die Diakonie als eine strategische Dimension ihrer Mission versteht.“ (S. 55)

6. Austauschpfarrer/innen

„Wenn die Kirche in Brasilien wachsen will, muss sie sich von ihren deutschen Wurzeln lösen“, sagt ein bayerischer Austauschpfarrer aus Sao Paulo, „damit sie nicht nur als deutsche Kirche identifiziert wird.“ Das entspricht dem Anliegen des Missionsplans, nicht mehr nur vorhandene Gruppen zu betreuen, sondern Grenzen zu überschreiten!
Walter Altmann, der Kirchenpräsident, meint verdeutlichend, eine Kirche der ökumenischen Weite sei nötig, also nicht einfach eine brasilianische Kirche jetzt nach einer deutschen. In jeder Synode solle ein Vertreter aus Deutschland, Amerika oder von anderswo sein. Die brasilianische Kirche auf der Suche nach Identität im 21. Jh. - wie unsere Kirche ja auch.
Freilich wird man eine Identitätskrise vermeiden und darauf achten, dass es neben einer Öffnung und Veränderung der Kirche auch die Bewahrung des Erbes gibt, das sich mit der deutschen Tradition verbindet. Das Verlangen danach ist zu spüren. Viele kamen auf dem Konzil und dem Kirchentag auf uns zu und begrüßten uns als Deutsche.
Die Frage spitzt sich zu: Wozu haben wir brasilianische Pfarrer in Bayern? Wozu brauchen wir bayerische Pfarrer in Brasilien? Wissen wir das ausreichend? Und fragen wir ihre speziellen Erfahrungen gezielt und konsequent genug ab?
Hier schließt sich meine Frage an, wie die individuellen Erfahrungen der Austauschpfarrer auch nach deren Rückkehr allgemein genutzt und eingespeist werden können. Pfarrstellenbesetzungsordnung und Personalentwicklung stehen hier nicht unbedingt im Einklang. Werden wir in unserem Dekanat auch in Zukunft eine/n brasilianische/n Pfarrer/in haben? Und fragen wir genügend nach deren Erfahrung und nach brasilianischer Perspektive? Nutzen wir diese Potentiale ausreichend? Oder vertun wir im Grunde diese Chance des ökumenischen Lernens? 

7. Feststellung zum Schluss

Unsere Partnerschaft mit Rio hat in der Partnerschaftsarbeit der ELKB eine besondere Bedeutung. Schweinfurt wird genannt, wenn es um die Partnerschaft zwischen IECLB und ELKB geht. Unsere Partnerschaft hat auch in der IECLB eine überregionale Bedeutung. Das war deutlich wahrnehmbar. Meine Präsenz auf dem Konzil hat dies unterstrichen und verstärkt. Hätten wir keine Partnerschaft, hätte ich eine mitgebracht. Die brasilianischen Synoden suchen Partner.