Tag eins der Post-Atom-Ära

Traditionelle Andacht am KKW Grafenrheinfeld

Zwar kein Ausstoß von Wasserdampf mehr, aber immer noch hört man den Strom "summen": die atomare Ruine von Grafenrheinfeld

Grafenrheinfeld, 28. Juni 2015. „Umweltschützer ziehen durch das Tal / Mit vielen Transparenten, / Sie fordern alle mit einmal, / Man soll den Bau beenden. / Allein die Worte nützen nichts, / Und das hat seine Gründe, / denn Bayernwerk und KWU / Die wollen ihre Pfründe.“

Das umgedichtete „Frankenlied“ („Wohlauf die Luft ...“) scheint in die Jahre gekommen. Die Textvariante war bei Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Grafenrheinfeld 1981 aktuell, aber seit gestern scheint sie endgültig überholt. Denn seit dem 27. Juni "rauchen" die beiden Kühltürme nicht mehr – hoffentlich nie mehr. Nun muss sich Schweinfurt ein neues „Wahrzeichen“ suchen, denn eine Atomruine macht sich nicht gut.

Die regelmäßigen Andachten immer am letzten Sonntag des Monats am Wegkreuz vor dem Sicherheitszaun gehen wie gewohnt weiter – und dies seit 1987. Am Tag 1 nach der Stilllegung des AKW wurde dort besagtes Frankenlied angestimmt, auf der Gitarre begleitet von Pfr. Franz Feineis und Johannes Rösch. Der II. Pfarrer von Schweinfurt-St. Johannis, Andreas Grell, hielt zum ersten Mal die traditionelle Ansprache. Sage und schreibe 60 Personen, die sich an diesem denkwürdigen Datum eingefunden hatten, hörten ihm gebannt zu.

Das Stichwort „Seufzen“ hatte es ihm angetan: Er habe tief geseufzt, so bekundete er, als er im Mai von der Verschiebung des Abschalttermins auf Juni erfuhr. Nun aber seufze manch einer vor Erleichterung. Grell nahm Bezug auf Worte des Paulus im Römerbrief (8,22 ): „Die ganze Schöpfung seufzt und stöhnt vor Schmerz wie in Geburtswehen – bis heute.“ Denn der Atommüll bleibe ja vor Ort; seine Endlagerung sei noch ungeklärt. Deshalb „hat die Natur noch genug Grund zum Seufzen.“ „Wir müssen uns weiter dort einsetzen, wo das Seufzen der Schöpfung ignoriert, kleingeredet oder verharmlost wird.“ Dazu schlug Grell ein Drei-Schritte-Programm vor: 1. das Leiden der Schöpfung sehen, 2. mit leiden, dem Seufzen der Schöpfung eine Stimme geben, 3. hoffen, Visionen einer guten Zukunft haben. Sein Schlusswort: „Seufzen, das ist die Sprache der Hoffnung!“

Immerhin: Das Faktum, dass kein neuer strahlender Atommüll mehr produziert wird, war an diesem Tag nicht nur Grund zur Hoffnung, sondern auch Anlass, darauf richtig feuchtfröhlich anzustoßen. Auf dem schier endlosen gelben Banner der Umweltaktivisten, angeblich schon über 80 Meter lang, das die Chronologie des KKW, insbesondere die 234 meldepflichtigen Störfälle dokumentiert, setzte sodann jeder Teilnehmer seine Unterschrift. Sozusagen: „Ich war dabei“ - und zwar am ersten Tag der Post-Atom-Ära in Schweinfurt.