Unglaublich ehrliche Geschichten

Dekanatsfrauentag 2016 befasste sich mit Märchen

Referentin Ursula Lux präsentierte beileibe keine Märchenstunde

Werneck, Sa. 12. Nov. 2016. Zum 28. Mal fand der Dekanatsfrauentag statt, diesmal in Werneck. Dekanatsfrauenbeauftragte Brigitte Buhlheller begrüßte um die fünfzig Damen, ein paar sogar aus dem Nachbardekanat Rügheim, die „unter dem Zeltdach des Gemeindesaals“ zusammengekommen waren. In ihrer Begrüßung stellte sie Zeltassoziationen her: Ein Zelt symbolisiere irdische Wanderschaft, aber auch Freiheit, Unabhängigkeit, Flexibilität, Geborgenheit und Gastfreundschaft. Von den vielen Zeltarten, die es gebe – etwa Nomadenzelte, Campingzelte oder Zirkuszelte – stehe aber diesmal das Märchenzelt in Zentrum.

Damit war sie beim Thema des Tages angekommen: der Interpretation eines Märchens der Gebrüder Grimm. „Wir wollen herausfinden, wie das Vertrauen in den Schutz einer höheren Macht Menschen zu allen Zeiten auf dieser Erde geholfen hat, die Herausforderungen des Lebens zu bestehen. Das Märchen zeigt: Krisensituationen werden uns geschickt, um daran zu wachsen und zu reifen.“

Dekan Oliver Bruckmann griff in seinem Grußwort die eher kritische Redensart „Erzähl doch keine Märchen!“ auf, gebraucht gegenüber jemandem, der etwas zusammendichte. Aber damit werde man den Märchen nicht gerecht. Sie würden eine Botschaft für uns enthalten und uns gut in Bewegung bringen wollen. Selbst in der Bibel erinnere vieles an Märchen, aber auch ihre Botschaft sei realistisch.

Nachdem auch die Hausherrin, Pfarrerin Hermine Wieker, ihrer Vorfreude auf einen spannenden Nachmittag und ihrem Dank an alle, die zum Gelingen des Tages mit beitrugen, Ausdruck gegeben hatte, trat Ursula Lux – freie Journalistin, Logotherapeutin und Theologin – ans Rednerpult. Schon 2009 hatte sie den Dekanatsfrauentag mit einer Märchenauslegung bereichert (LINK: https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/erzaehl-mir-nur-keine-maer...).

Wie der Dekan betonte sie zunächst, dass Märchen faszinierende Geschichten seien, wie unser Leben gelingen könne. Denn Märchen erzählten immer vom Leben der Menschen; es seien „unglaublich ehrliche Geschichten“, die (fast) immer gut ausgingen und somit uns die Botschaft übermittelten: „Es geht gut aus.“ In Märchen würden Urerfahrungen der Menschen und Urbilder der Seele aufgegriffen. Auch Lux wies auf Parallelen zu biblischen Erzählungen hin: „Entweder man nimmt Märchen [bzw. die Bibel] wörtlich oder ernst.“ Praktisch jedes Wort, jeder Absatz habe symbolische Bedeutung.

Das zeigte sie dann en detail an dem kurzen, weniger bekannten Märchen „Die Alte im Wald“ auf (Grimms Kinder- und Hausmärchen-Sammlung, 1815; Text: http://www.grimmstories.com/de/grimm_maerchen/die_alte_im_wald).

Beispielsweise der erste Satz: „Es fuhr einmal ein armes Dienstmädchen mit seiner Herrschaft durch einen großen Wald, und als sie mitten darin waren, kamen Räuber ..."  Dazu Lux: Offenbar ist hier das Dienen „aus den Fugen geraten“; das Mädchen dient anderen mehr als sich selber. Doch unser sinnvoller Dienst darf „kein armer“ sein. Wer und was beherrscht denn uns? Etwa Bilder unserer Zeit und Gesellschaft. „Wir gehen den Weg, den die Allgemeinheit für gut befindet.“ Doch muss jeder Mensch seinen eigenen Weg gehen. „Das ist der Weg der Erlösung.“ Lassen wir uns jedoch fremdbestimmen, dann kommen „Räuber“: Unfall, Krankheit, Tod. Wir alle halten uns für unersetzbar. Doch irgendwann protestiert der Körper, und man sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr.

Dass das Dienstmädchen daraufhin „bitterlich zu weinen“ anfing und sich Gott befahl (d.h. an ihn wandte), zeigt, dass wir nicht alles allein schaffen und lösen müssen, sondern unser Elend einem anderen anvertrauen dürfen. Auch sollen wir Mut haben, unsere Gefühle zu zeigen und zu leben. „Weinen ist doch Ausdruck unserer Seele“, und Tränen sind „das Grundwasser der Seele“.

Kurzum: Eine wirklich spannende, erhellende, existenzielle Analyse eines auf den ersten Blick banalen Märchens.

Nach dem Kaffeetrinken gingʼs in die thematisch weiterführende Gruppenarbeit zu drei Fragestellungen: „Was macht mich wertvoll?“ „Krise als Chance erkennen?“ „Wovon wird mein Leben beherrscht?“ Zu letztgenannter Frage wurden u.a. genannt: Arbeit, Termine, Erwartungen/Meinungen anderer, Angst - und weiter gefragt: Was beherrscht mich im Glauben? Habe ich etwa bei Gott auch etwas zu leisten? Quintessenz: „Beherrsche dich!“ als positiver Appell, über selbst zu herrschen, statt beherrscht zu werden.

In der das Beisammensein beschließenden Andacht griff Pfarrerin Wieker noch einmal das Bild vom Zelt auf und erinnerte an Abraham, den berühmtesten Zeltbewohner des Alten Testamentes. Er, der ohne Wenn und Aber dem Ruf Gottes zum Aufbruch folgte, sei das Urbild des Menschen, der sich ganz auf Gott verlässt. „Wir sind unter seinem Zelt und finden immer wieder Heimat auf unserem Weg durch das Leben.“ Und wunderschön märchenhaft: Unser Leben - „ein Unterwegssein unter dem großen Himmelszelt, das Gott über uns spannt“.

Bitte notieren, obwohl leicht zu merken: Nächster Dekanatsfrauentag ist am 11.11.2017, ab 11.00 Uhr im Martin-Luther-Haus Schweinfurt.