Synodenbericht II / 2011

„Selig sind die Armen“? Themensynode im Herbst


 

 

 

Strahlend schöner Spätherbsttag, doch unter dem Zeltdach der St. Lukas-Kirche ging es um Armut in Schweinfurt und im Dekanat Auch das Präsidium strahlte: Dekan Oliver Bruckmann u. Marion Beck-Winkler

 

Schweinfurt, Sa., 29.10.2011. Mit dem Thema „Armut“ befassten sich die 72 Synodalinnen und Synodalen auf der Herbstsynode des Evang.-luth. Dekanates Schweinfurt in den Gemeinderäumen der St. Lukas-Kirche am Hochfeld. Vorsorglich war Jesu Seligpreisung der Armen auf der Einladung mit einem Fragezeichen versehen. Denn Armut heißt alles andere als Seligkeit.

„Reich sein ist freiwillig – arm sein nicht“. Diesen Slogan einer Schweizer Kirche aufgreifend, fragte Hausherr Pfr. Christian von Rotenhan eingangs in seiner Andacht selbstkritisch: „Wo stehe ich? Doch wohl auf der Seite der Reichen. Und wo fängt Reichtum an? Wer Essen, Arbeit, ein Dach überm Kopf und ein Bankkonto hat, gehört bereits zu den acht Prozent Reichen auf dieser Welt!“

Als Referenten und zugleich Gesprächsmoderatoren konnten Stadt- und Bezirksrätin Kathi Petersen, unter anderem Mitglied im Sozialausschuss des Bezirksrates und MAV-Vorsitzende im Dekanat, sowie Uwe Kraus, Leiter der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit beim Diakonischen Werk Schweinfurt (KASA), gewonnen werden. Beide machten deutlich, dass besagte Seligpreisung einen Anspruch an alle darstelle, sich nicht mit der Armut abzufinden. Armut sei ein „Schamthema“, denn jeder besitze seine eigene Würde; keiner sei freiwillig arm. Als arm gelte in Deutschland, wer nur 60 Prozent oder weniger des Durchschnittseinkommens beziehe. Dies seien 11,2 Prozent. Jeder Dritte könne sich nur alle zwei Tage eine warme Mahlzeit leisten und lediglich 16 Prozent ihre Wohnung immer warm halten.

Armut müsse mehrdimensional gesehen werden: Die Betroffenen hätten deutlich schlechtere Bildungschancen und aufgrund weniger guter Ernährung und ungesunder Lebensverhältnisse öfters Krankheiten, von daher eine geringere Lebenserwartung. Des Weiteren treibe Armut in Isolation und Beziehungslosigkeit. Mit dem Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben gehe eine höhere Verletzlichkeit einher: Aufgrund frustrierender Erfahrungen besitze man weniger Reserven, um Schwierigkeiten, z.B. mit Behörden, zu bewältigen. Armut zeige sich somit nicht nur materiell, sondern auch spirituell in Form von Hoffnungslosigkeit und Resignation.

Vor allem sei Armut im Alter auf dem Vormarsch. Als Ursachen nannten die Referenten „atypische Beschäftigungsverhältnisse“, nämlich Teilzeit- und Minijobs. So könnten viele mit nur einer Arbeitsstelle ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten. Entsprechend gering fielen dann die Renten aus, die zudem nicht mehr im selben Maße wie früher angehoben würden. Petersen nachdrücklich: „Altersarmut ist weiblich“ - aufgrund der immer noch bestehenden Benachteiligung von Frauen im Arbeitsprozess.

Petersen und Kraus gingen sodann auf die Situation in Schweinfurt ein. Anhand von beeindruckendem Zahlenmaterial zeigten sie, dass auch hier die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird: Im Jahr 2009 lag das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte je Einwohner bei 17.233 Euro, im Landkreis bei 18.000 Euro. Die Arbeitslosenquote beläuft sich in der Stadt auf 7,4 Prozent – dies bei einem monatlichen Regelsatz von 364 Euro. Paradoxerweise sind aber „nur“ 1975 als arbeitslos gemeldet, obwohl es in Schweinfurt 3860 Hartz IV-Bezieher - davon 605 unter 25 Jahren – gibt. Petersen vermutete, dass offenbar viele Arbeitslose aus der Statistik „rausgerechnet“ würden.

Mit der Impulsfrage, welche Indizien es für Armut in den Kirchengemeinden gebe und was dagegen zu tun sei, befasste sich die Gruppenarbeit an mehreren Tischen und anschließend im Plenum die Auswertung. Nur einige Streiflichter: Armut wird symptomatisch sichtbar in Kindergärten, wenn Elternbeiträge von den Jugendämtern übernommen werden müssen. Hiervon sind vor allem die Einrichtungen im Schweinfurter Innenstadtbereich tangiert: im Kindergarten von Gustav-Adolf 29 Kinder, in dem von St. Johannis 28 und in dem der Dreieinigkeitskirche 20. Sodann können einige Konfirmanden aus finanziellen Gründen nicht an Freizeiten oder Ausflügen teilnehmen. Des Öfteren sind Gebühren für Kasualien wie Taufen nicht finanzierbar. Sozialbestattungen nehmen zu.

Zum Teil kontrovers diskutiert wurden Gegenmaßnahmen: Die sog. „Mittelstandskirche“ habe zweifelsohne den biblischen Auftrag zu Werken der Barmherzigkeit und Wohltätigkeit. Doch dies klinge herablassend nach Almosen. Auch reiche es nicht aus, moderate Preise bei Basaren zu erheben oder Kirchenkaffee auf Spendenbasis beziehungsweise Gutscheine für die TAFEL anzubieten. Eher müsse Kirche prinzipiell Teilhabe und Integration ermöglichen, Hilfe zur Selbsthilfe anbieten, sich vor allen Dingen zum sozialpolitischen Sprachrohr machen und nicht nur die Symptome von Armut bekämpfen, sondern durch politisches Engagement Armut von vornherein verhindern helfen. Auch gelte es, von Vorurteilen Abstand zu nehmen und sich einer sensibleren Sprache zu befleißigen. So dürfe nicht distanziert von „den anderen“ oder pauschalisierend von „ihrem Milieu“ geredet werden.

Kathie Petersen: „Kirche muss einladend sein und nicht nur Einladungen verschicken. Jeder ist wirklich willkommen.“ Uwe Kraus plädierte für eine stärkere Kooperation von Diakonie und Kirche. Er wies auf ein neues Projekt der Diakonie Schweinfurt hin: die Ausbildung von ehrenamtlichen Energieberatern für sozial schwache Haushalte. Ein bei 600 Stromabschaltungen pro Jahr in Schweinfurt überaus notwendiges Hilfsangebot!

In seinem Schlussvotum fragte Dekan Oliver Bruckmann: „Wie glaubwürdig sind wir als Kirche?“ Er rief die GemeindevertreterInnen zu einem noch verantwortungsvolleren Umgang mit Geld auf. Immerhin wies der von ihm bekannt gegebene ordentliche Haushalt im letzten Jahr fast 380.000 Euro Einnahmen gegenüber 375.000 Euro an Ausgaben auf. Zudem wurde den 27 Kirchengemeinden 2011 eine Ergänzungszuweisung in Höhe von 80.000 Euro bewilligt.

 

 

Strahlten nur fürs Foto: Referentin Kathi Petersen u. St. Lukas-Pfr. Christian von Rotenhan.  Nahmen das Blitzlicht ebenfalls wohlwollend hin (v.l.): Pfr. Manfred Herbert/Gustav Adolf-Kirche mit seinen KV-Damen Monika Schwarz u. Lydia Baumgartner, daneben Gerhard Räth/Schonungen u. Roland Strauß/Euerbach, der Schriftführer der Synode

 

 

Sie fanden ernste, eindrückliche Worte: Kathi Petersen und KASA-Chef Uwe Kraus während ihrer Präsentation Fragte ihn etwa der stellvertetende Dekan Jochen Wilde/Bad Kissingen: "Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?"  

 

 

Vergebliche Überzeugungsarbeit? Pfr. Martin Schewe von der Christuskirche mit den Damen Kattner (l.) und Schmidt von St. Lukas Kathi Petersen traf auf nachdenkliche Mienen aus den Landgemeinden  (außen links: Pfr. Frieder Lösch/Werneck; außen rechts: Herbert Ludwig/Schwebheim)

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