Bürgermeisterin Lippert mit Kopftuch?

Podiumsdiskussion "Interreligiöser Dialog"

Diskussionsleiter Matthias Wiedemann (l.) und Mitveranstalter Dekan Oliver Bruckmann

Schweinfurt, 24. Februar 2016. Da sich in der Stadt Schweinfurt eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge befindet und es im Landkreis etliche dezentrale Unterkünfte gibt, hatten das Evangelische Dekanat Schweinfurt und das katholische Dekanat Schweinfurt-Stadt zu einem Diskussionsabend eingeladen zur aktuellen Fragestellung „Wie kann interreligiöser Dialog, wie kann Integration gelingen?“ Entsprechend viele Interessierte, etwa 150, waren in die Rathausdiele gekommen, weitere Stühle mussten noch gestellt werden.

Rede und Antwort standen auf dem Podium Dr. Gabriele Lautenschläger (kath.), Beauftragte für interreligiösen Dialog im Bistum Würzburg, die Juristin und islamische Theologin Hamideh Mohagheghi/Universität Paderborn und Dr. Rainer Oechslen (evang.), Beauftragter für den interreligiösen Dialog und Islamfragen der ELKB, vielen Schweinfurtern noch als Pfarrer an der Dreieinigkeitskirche von 1986-1999 in guter Erinnerung. Der Moderator der Talkrunde, Matthias Wiedemann vom „Schweinfurter Tagblatt“, hatte sich für den ersten Teil eigene Fragen formuliert, die er den dreien stellte.

Zunächst ging es um die Bedeutung der Religion für die Integration: Laut Pfr. Oechslen wolle man einerseits in Flüchtlingsunterkünften keine „religiöse Konnotation“ haben, aber andererseits sei das große Engagement der Kirchengemeinden in der Flüchtlingsarbeit die Realität. Frau Dr. Lautenschläger sprach vom „Dialog des Lebens, des Handelns und der religiösen Erfahrungen“ im Alltag. Zwischenmenschlich bedürfe es einer Vertrauensbasis und im gemeinsamen Handeln der Umsetzung konkreter Projekte.

Frau Mohagheghi kritisierte das in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft herrschende Zerrbild des Islam „als Bösewicht“ und „einer Religion der Gewalt“. Das Klima habe sich zum Negativen verändert. Es bestünden Vorurteile und Ängste – selbst von Gemeindegliedern – etwa gegen muslimische Bräuche. Gerade die mangelnde Verwurzelung im eigenen Glauben schaffe Vorurteile. Doch nehme das Interesse an der islamischen Religion stark zu. Wenn man nur tiefer in die Lehren des Islam schaue, müsse man doch anerkennen, dass er „eine innere Wertedebatte“ und der westlichen Welt etwas anzubieten habe.

Frage: Warum gibt es in Deutschland immer noch so wenig Informationen über den Islam? Dazu nannte Dr. Oechslen vier Punkte:

1. Man dachte vor 40 Jahren, dass die ins Land geholten muslimischen „Gastarbeiter“ nach ein paar Jahren in ihre Heimat zurückkehren würden, sah darum keine Notwendigkeit, sich mit dem Islam auseinanderzusetzen.

2. Man meinte, das Thema „Religion“ gehöre nicht zur Integration.

3. In den letzten Jahrzehnten ist das Interesse an religiösen Fragen in der Gesellschaft geschrumpft.

4. Selbst die EKD hatte bis vor Kurzem kein ausgeprägtes Interesse bekundet und sogar folgende Gleichsetzung vorgenommen: „Die Praxis anderer Religionen gesellt sich zum Erscheinungsbild einer neben den Kirchen in vielfältiger Weise auftretenden Religiosität“; so steht es im EKD-Text „Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen“ (Nr. 77/2003).

Frau Moghaghegi fügte hinzu: Leider mangele es noch an islamischen Ansprechpartnern; auch die Sprachbarriere behindere den Dialog. Außerdem gebe es im Islam keine den kirchlichen Strukturen vergleichbare Obrigkeit. Jeder Imam sei unabhängig und spreche nur für seine Gemeinde. Den Islam gebe es nicht. Nicht zuletzt sei auch eine „Dialogmüdigkeit“ auf muslimischer Seite zu spüren, weil man sich immer wieder bei islamischen Terrorakten oder bei Verbrechen Einzelner rechtfertigen und distanzieren müsse. Erst allmählich bilde sich eine islamische Hochschultheologie mit ausgewiesenen Sprechern heraus, mit denen man sich beispielsweise über tiefgründigere Themen wie die christliche Dreieinigkeitslehre austauschen könne. Genauso müsse interkulturelle und interreligiöse Kompetenz zur Ausbildung angehender christlicher Pädagoginnen und Pädagogen gehören. Den Schulen sei auch interreligiöser Unterricht empfohlen, damit Empathie und Interesse an dem, was die anderen sagen, denken und bewegt, geweckt werde.

Frage: Tut die christliche Seite genug, um nachhaltigen Dialog in Gang zu bringen? Ja, aber die Zusammenarbeit zwischen Moscheen und Kirche müsse noch stärker werden. Dialog sei „eine Christenpflicht“, meinte Frau Lautenschläger und zitierte dazu den emeritierten Papst Benedikt XVI.

Scharf von allen Diskussionspartnern kritisiert wurden Begriffe wie „Leitkultur“ oder „Integrationspflicht“, die im geplanten Bayerischen Integrationsgesetz stehen, das einen aktiven Integrationswillen der Migranten verlangt, sie zu einem Grundkurs über die deutsche Rechts- und Werteordnung verpflichten will oder Bußgelder für Eltern vorsieht, die für ihre Kinder eine Sprachprüfung verweigern.

Im zweiten Teil der Diskussion durfte sich endlich das Publikum beteiligen: „In wie vielen Generationen wird denn der interreligiöse Dialog mit dem Islam funktionieren?“, fragte etwa Klaus Eckhardt, Vorsitzender des Verwaltungsrates des Diakonischen Werkes Schweinfurt, ironisch und wies auf die Eilbedürftigkeit eher in Wochen als in Jahren hin. Nur unscharf wurde darauf geantwortet: Es gelte, „exemplarische Lösungen“ zu finden, „gemeinsam wachsam“ zu sein und Einzelinitiativen der Begegnung zu unterstützen, denn: „Was sich bewährt, wirkt ansteckend.“ Darum sei jeder kleine Schritt wertvoll, etwa Helferkreise in den Gemeinden, - woraufhin DW-Vorstand Pfr. Jochen Keßler-Rosa für die in Räumen der Dreieinigkeitskirche und des Evangelischen Jugendhauses geplanten interkulturellen Treffpunkte mit Flüchtlingen warb.

Gerade eine sachgemäße, positive Darstellung seitens der Presse, wie vom „Schweinfurter Tagblatt“ praktiziert, könne viel bewirken, merkte Christian Maurischat, KV-Mitglied von St. Johannis, an. Redakteur Wiedemann dankte für diese Anerkennung, wusste aber auch von herber Kritik an seiner Pressearbeit zu berichten. Als Ertrag des Abends nannte er zwei Punkte: „Es kommt auf die einzelnen handelnden Personen an. Und es muss auf der untersten zwischenmenschlichen Ebene beginnen.“

Während es auffallenderweise keinen Zwischenapplaus gab, erntete Hamideh Mohagheghi für ihr engagiertes Schluss-Statement verdienten Beifall: Um Vorurteile abzubauen und um Solidarität mit den muslimischen Schwestern zu demonstrieren, riet sie Christinnen, Pfarrerinnen und auch der anwesenden Zweiten Bürgermeisterin Sorya Lippert, für ein paar Wochen in aller Öffentlichkeit ein Kopftuch zu tragen. Ob es denn Hoffnung für den interreligiösen Dialog gebe, hatte im Übrigen Wiedemanns Eingangsfrage an Frau Mohagheghi gelautet: „nur wenn wir gemeinsam anpacken“, - so ihre kurze, Mut machende Antwort.